Als Marpa, der große tibetanische Lama, zu seinem Guru Naropa kam, um sich unterweisen zu lassen, zögerte er nicht, ihm eine Tasche voll Goldmünzen zu geben. Das klingt zunächst etwas seltsam. Was will ein Heiliger mit Gold? Aber wenn wir nur ein wenig darüber nachdenken, müssen wir erkennen, dass auch ein Heiliger Leib und Seele zusammenhalten muss, wenn er in dieser Welt wirken soll. Und weil Marpa ihm sein Gold gab, konnte er sicher sein, dass Naropa nicht etwa des Hungers starb, bevor er alles von ihm gelernt hatte, was er wissen wollte.
Unsere anfängliche Reaktion ist ganz normal. Wann immer die Frage des Geldes in spirituellem Zusammenhang auftaucht, wird es den Menschen unbehaglich, werden sie verlegen und gehen in die Offensive. Diese Reaktion bringt unsere ambivalente Stellung dem Geld gegenüber zum Vorschein. Ohne Geld wäre das Leben heute zwar nicht denkbar. Aber irgendwie denken wir schlecht darüber. Geld ist etwas Schmutziges und die "Wurzel allen Übels". Das Ergebnis dieser Einstellung ist ein unbewusstes Gefühl der Gier in uns, das uns umso deutlicher wird, wenn wir höhere spirituelle Ziele anvisieren. Dieses schlechte Gefühl beeinflusst natürlich unsere Ansicht über einen Priester, Guru oder Heiligen, der uns um Geld bittet. Wir folgern daraus, dass er schließlich doch kein Heiliger ist.
Heilige und Weise haben uns nie empfohlen, den Umgang mit Geld völlig aufzugeben; aber sie haben uns geraten, nicht am Geld festzukleben. Wir sollten unsere ausschließliche Beschäftigung mit Geld und dem übertriebenen Wunsch nach Geld aufgeben. In unserem spirituellen Leben sind nicht unsere finanziellen Investitionen ein Problem, sondern die gefühlsmäßige Investition in unsere Finanzen.
Es ist reine Schwerfälligkeit, wenn wir glauben, dass bei einer spirituellen Beziehung nicht gleichzeitig eine finanzielle bestehen kann. Immer schon haben Schüler, die noch im weltlichen Leben standen, ihren spirituellen Meistern, denen sie nachfolgen wollten, Opfer gebracht.
Die Christen gaben traditionsgemäß den "Zehnten", ein Zehntel ihres Einkommens ab, um ihre Priester zu unterstützen, die Besitztümer der Kirche zu erhalten, und den Glauben zu verbreiten.
Auch bei den Juden gibt es die Tradition des "Zehnten", mit dem sie ihre Rabbis unterstützen und ihre Synagogen unterhalten. Heute wird der "Zehnte" in Form einer Reservationsgebühr für einen Logenplatz in der Synagoge abgegeben. Wobei die mehr angesehenen Sitze weiter vorn liegen und auch teurer sind. Viele Familien besitzen eine "blue box", in welche einzelne Münzen und Gespartes geworfen wird. Das auf diesem Wege gesammelte Geld wird dann nach Israel in ihre spirituelle Heimat gesandt.
Buddhistische Laien geben wandernden Mönchen "bhikscha" (Opfer in Form von Nahrungsmitteln). Sie betrachten es als eine Ehre, Nahrungsmittel, Kleidung und Münzen zu opfern, denn dies wird als eines der sechs "paramitas" betrachtet, Taten, die transzendieren und das Mitgefühl erwecken. Parsen betrachten Geldspenden an ihre Priester und an Arme als ein Sakrament. Rituelle Geschenke bilden einen wesentlichen Teil ihrer mannigfaltigen Zeremonien.
Im Islam ist das Teilen des materiellen Reichtums ein so wichtiger Teil des spirituellen Lebens, dass dies als einer der '5 Pfeiler' des Glaubens betrachtet wird. Jedes Jahr geben die Moslems ein 'Yahat' ab, das mindestens ein Vierzigstel ihres Einkommens und Besitzes ist. Dieses 'Yahat' wird unter den Armen aufgeteilt. Zuerst bekommen jene, die es unmittelbar benötigen; dann werden damit Sklaven freigekauft; und dann geht es an Schuldner, an Fremde und Durchreisende, und an jene, die Almosen auf einer organisierten Grundlage verteilen.
Sind wir nicht alle Sklaven der Leidenschaft und Unwissenheit, wenn wir versuchen, unseren Weg durch spirituelle Übungen in die Freiheit des kosmischen Bewusstseins zu kaufen? Und von wem erbitten wir die spirituelle Hilfe beim Sadhana (spiritueller Übungsweg), wenn nicht vom Guru?
Es war immer so, dass Wohltätigkeit durch Gold ermöglicht wurde. Heute haben die Menschen viel Geld; es ist nicht mehr das Gold, was sie brauchen. Der moderne Mensch lebt in materiellem Wohlstand, aber in spiritueller Armut, und er verlangt nach dem inneren Frieden. Der Mensch, der uns den Weg zu diesem Frieden zeigt, ist wahrhaftig wohltätig; und wenn wir um spirituelle Gaben bitten, steht dem Guru unsere finanzielle Unterstützung zu.
Dieses hatte Marpa erkannt, und als er seine zweite Reise zu Naropa machte, nahm er Taschen voll hart erarbeiteten Goldstaubes mit. Naropas Begrüßung lautete: "Wie viel Gold hast du mir diesmal gebracht?" Ziemlich bestürzt gab er seinem Guru einen seiner Meinung nach ausreichenden Berg und legte den Rest für seine Reisen beiseite. Offensichtlich unbefriedigt bat Naropa um mehr: "Marpa, du kannst mich nicht täuschen, ich weiß, wie viel Gold du hast." Schließlich übergab Marpa alles, was er hatte. Naropa aber nahm den Goldstaub und warf ihn in die Luft. "Was meinst du" rief er, "wofür brauche ich wohl Gold? Für mich ist die ganze Welt voller Gold!" Marpa erstarrte zunächst, denn das war zu viel für ihn. Doch ganz plötzlich begriff er, was Naropa ihn damit lehren wollte.
Marpa litt Höllenqualen, als Naropa sein Gold in die Luft warf. Wir hingegen haben den Vorteil, sehen zu können, dass unsere Geschenke für einen guten Zweck verwendet werden (und sind daher etwas ruhiger). Aber immer noch neigen wir dazu, mit Marpa zu sympathisieren, denn wir sind entrüstet und fragen: "Welches Spiel treibt Naropa hier?" Naropa machte in diesem Fall deutlich, dass er das Gold nicht brauchte, aber dass Marpa lernen musste, sich von seinem Gold zu trennen. Obwohl Marpa großzügig im Geben war, hielt er dennoch etwas zurück, und zwar physisch (indem er sich Gold beiseite legte) und emotional. Durch die Forderung Naropas musste Marpa seiner eigenen Unsicherheit (Was passiert, wenn ich kein Geld mehr habe) und seiner Besitzgier (es ist mein Geld, und ich gebe es aus, wie ich will!) ins Gesicht blicken. Naropa prüfte Marpas Ergebenheit und gab Marpa dabei die Möglichkeit, selbst die wahre Tiefe seiner spirituellen Sehnsucht zu bestimmen.
Immer, wenn uns ein Pastor oder Guru auffordert, etwas zu geben - Zeit, Arbeit, bares Geld - gibt er uns die Möglichkeit, unsere Prioritäten zu überprüfen und eventuell neu zu ordnen. Wir sind überzeugt, dass unsere Seele unser wertvollster Besitz ist und dass uns Geld nichts oder wenig bedeutet, aber haben wir diese Überzeugung schon einer Prüfung unterzogen? Wenn uns jemand um etwas bittet und wir geben bereitwillig und ohne zu zögern, dann schätzen wir das Geistige wirklich höher als das Weltliche. Doch geben wir weniger, als wir uns leisten könnten, oder geben wir nicht alles, so liegt uns an Geld doch mehr, als wir dachten. Dieser kleine Test sollte uns nur zeigen, wo genau wir stehen.
Damit sich eine gute spirituelle Beziehung zwischen Guru und Schüler entwickeln kann, müssen beide in der Weise füreinander offen sein, dass jeder dem anderen wirklich alles gibt, d.h. dass der eine von dem anderen nicht nur das erhält, was er anzubieten bereit ist. Das Geschenk des Meisters ist die spirituelle Führung und Übermittlung, während das Geschenk des Suchenden eine Art Dienst oder materielle Unterstützung ist. Wir können diese Beziehung mit einer Wasserleitung vergleichen. Ist sie an einem der beiden Enden verstopft, dann läuft kein Wasser durch. Genauso kann ein innerer Austausch oder eine spirituelle Übermittlung ohne diesen materiellen Austausch, der freiwillig und offenen Herzens geschehen muss, nicht stattfinden. Die Beziehung muss eine Zwei-Wege-Verbindung sein. Unser Geschenk stellt klar, dass wir Suchende und keine Bettler sind. Der Schüler braucht sich nicht abhängig oder gedemütigt zu fühlen, weil er um Führung bittet, er hat auch etwas Wertvolles beizutragen. Unser Geschenk mag ein Einfaches sein - die traditionellen Früchte, Blumen, Blätter, Wasser oder Münzen - wichtig allein ist unsere innere Hingabe und Bereitschaft. Mit unserer Gabe öffnen wir den Kanal der spirituellen Verbindung.
In Yoga heißt dieses Geschenk für den Guru "Dakshina". Das bedeutet "Recht". Man glaubt, dass der Guru ein 'Recht' auf ein Geschenk hat, aber die wahre Bedeutung ist folgende: Wenn ein Sadhu keinen Gönner finden kann, der ihn mit dem Lebensnotwendigen versorgt, dann muss er betteln, leihen oder kaufen, was er braucht. Sein Sadhana wird dadurch unterbrochen und sein Weg um vieles länger. Den Schriften gemäß hat ein Gönner Anspruch auf einen symbolischen Teil des Sadhana, wenn er die materiellen Bedürfnisse eines Sadhu erfüllt, so dass dessen Sadhana fortlaufen kann. Dakshina ist so zu verstehen, dass nicht der Guru das Recht hat, ein Geschenk zu erhalten, sondern dass der Schüler das Recht hat, dem Guru etwas zu geben, um an den spirituellen Früchten teilhaben zu dürfen.
Wir dürfen uns glücklich schätzen, wenn der Guru unser Geschenk annimmt, denn dies ist nicht selbstverständlich. Ein Reicher z.B. kann einen hohen Betrag geben, ohne wirklich etwas von sich zu geben. Wenn wir etwas geben, dann muss es wahrhaftig von uns selbst sein. Spirituelles Wissen können wir nicht einfach kaufen. Der innere Friede ist nicht auf dem Wege der Bestechung zu erreichen. Es ist möglich, dass der Guru unsere Spende ablehnt, wenn unsere Motive nicht eindeutig sind, oder wenn wir uns gefühlsmäßig nicht voll hingeben. Wenn unser Schenken uns nicht weiter bringt, dann wird der Guru, auch wenn es ihm selbst nützlich wäre, unser Geschenk auf die eine oder andere Weise ablehnen.
Wenn wir jedoch Großzügigkeit zur Gewohnheit werden lassen, werden alle unsere Anstrengungen in einen spirituellen Weg gelenkt. Wir müssen Geld verdienen, um uns selbst und unsere Familie ernähren zu können. Aber unsere tägliche Arbeit können wir in selbstlosen Dienst umwandeln (Karma Yoga), indem wir ebenso für andere arbeiten. Besonders, wenn wir von unserem Verdienst an den/einen Priester, Pastor, Rabbi oder unseren Guru etwas geben, helfen wir bei der spirituellen Weiterentwicklung der ganzen Menschheit.
Dakshina bedeutet auch "Danksagung". Wir dürfen uns glücklich schätzen, wenn wir spirituellen Reichtum erhalten, denn irgendjemand hat unseren Guru einst mit dem Notwendigen versorgt und es ihm somit ermöglicht, sein Sadhana zu vervollkommnen. Niemals hätten wir das Glück gehabt, unseren spirituellen Meister zu finden, wenn ihn nicht früher zahlreiche Menschen unterstützt hätten. Mit unserem Dakshina kann die Mission des Gurus weiter wachsen, und somit ist es ein praktischer und sichtbarer Dank an all jene, die vor uns gewesen sind; und vielen nachfolgenden Suchenden wird damit der Weg zur Erleuchtung geebnet.
Dakshina ist nicht für den Guru, sondern für uns. Großzügigkeit gegenüber dem Guru gleicht einer ewigen Flamme, die im Herzen des Suchenden brennt. Was immer er darbringt, nährt diese Flamme. Sie wächst so lange, bis der Schüler fähig ist, das letzte Opfer darzubieten, sich selbst. Dann wird er vollkommen von dieser Flamme verzehrt, und er erhebt sich wie Phönix zu den spirituellen Höhen des Meisters.
"Denn wahrlich, ich bin nur hier, weil du nach Weisheit hungerst; und dein Großmut ist der Sesam, der mir erlaubt, dich durch die erste Pforte des geheimen Pfades der Wahrheit zu geleiten; denn die Wahrheit, die auf dich wartet, ist nur für Großherzige und Freigiebige, wahrlich, für niemand Anderen."
(Aus: Yoga Magazin Juli 78) - Swami Satyadharma,