Ich bin Englischlehrerin und unterrichte außerdem auch Yoga. Lange Zeit trennte ich beides voneinander; Englisch unterrichtete ich in meiner Schule und Yoga in meinem Ashram. Aber plötzlich änderte sich etwas: ich stellte fest, dass mein Englischunterricht auf fast unmerkliche Art besser wurde, weil ich Yoga lernte und weitergab. Das war zwar eine wichtige Erkenntnis, aber es kam noch etwas hinzu.
Ich bekam eine Antwort auf die Frage, die ich mir seit Beginn meiner Karriere als Englischlehrerin immer wieder stellte. Ist Unterrichten das, was ich gelernt habe, ist es wirkliches Lehren, oder verändere ich die Kinder nur aus ihrer ursprünglichen Form? Schließlich konnte ich sehen, dass ich durch meine eigene Veränderung in einer Weise unterrichtete, die sowohl für mich selbst wie auch für die Kinder zufrieden stellender war. Ich machte mir Gedanken über den Unterrichtsverlauf und experimentierte in meiner Klasse. Ich brachte den Kindern Yoga nahe, ohne Yogaunterricht zu geben. Es gab nicht freitags oder mittwochs Yogastunden, sondern ich bringe Yoga in den Klassenraum in dem Moment, wenn ich sehe, dass die Kinder nicht weiterkommen. Sie können dem gar nicht entfliehen.
Da ich außerhalb der Schule Yogalehrerin bin, ist das mein Image, d.h. die Kinder haben eine Englischlehrerin, die mit Yoga zu tun hat; das ist einfach nicht zu übersehen, und sie scheinen auch ihre Freude daran zu haben. Da sie mich nun einmal haben, müssen sie meine Methode annehmen. So wurde ich in Frankreich bekannt als Lehrerin, die Englisch mit Hilfe von Yoga unterrichtet.
Das alles begann mit dem Ereignis, als Swamiji Satyananda in Condorcet, der Oberschule, an der ich unterrichte, einen Vortrag hielt. Journalisten waren anwesend und hörten ihn sagen, dass Yoga für Kinder so gut sei, und sie fragten natürlich, wo man das einmal in life sehen könnte. Nach den Ferien kamen sie in meine Klasse und schauten zu. Das war 1979. Seitdem wird über dieses Experiment immer wieder in den Zeitungen berichtet.
Es war ein Glück, dass wir die Hilfe eines jungen Mannes aus der Schweiz hatten, sein Name ist Jacques de Coulon. Er ist Lehrer und hat ein Buch mit dem Thema 'Yoga für Kinder` geschrieben. Er führte seine Schüler in die Yoga-Übungen ein, die er während eines Bildungsurlaubs in der Coptic Schule in den USA gelernt hat. Er lernte dort Übungen, die aus dem antiken Ägypten stammen. Nach seiner Rückkehr schrieb er einen Artikel: 'Erwecken und Harmonisieren der kindlichen Persönlichkeit'. Er hörte von meinen Experimenten in Paris und schrieb mir, dass ihm unsere Experimente sehr verwandt erscheinen. Ich las sein Buch, traf den Autor, und heute arbeiten wir zusammen und organisieren Seminare.
Mit dem theoretischen Hintergrund und der praktischen Arbeit am College Condorcet in Paris sind wir in Frankreich anerkannt, und heute geben viele Lehrer unsere Übungen in ihren eigenen Klassen weiter. Die Bewegung, die gerade erst begonnen hatte, wuchs schnell, und ich versuche, den Grund für diesen Erfolg zu erklären.
In den regelmäßig stattfindenden Yogaklassen besteht ein großer Teil der Teilnehmer aus Lehrern oder Erziehern. Warum machen so viele Menschen aus Lehrberufen Yoga?
Ich glaube, im Laufe der Zeit werden sich immer mehr Lehrer Yoga zuwenden. In Frankreich, England, Schottland, Irland, Deutschland - überall auf der ganzen Welt kommen immer mehr Lehrer zu Yoga. Sie machen Yoga, weil ihre Vitalität durch ihre tägliche Anwesenheit im Klassenraum nachlässt.
Früher war es so, dass die Menschen körperlich hart arbeiteten: Holzhacken, Wassertragen, Fußböden scheuern - mit Hand, nicht mit Maschinen - und vieles andere. Obwohl sie jetzt nicht mehr so hart arbeiten, sind sie trotzdem sehr müde. Im allgemeinen sind Lehrer physischer Arbeit gegenüber nicht abgeneigt, und sie haben häufig Ferien (das ist jedenfalls ihr Ruf), trotzdem sind sie extrem übermüdet. Wenn die Ferien vor der Tür stehen sind sie vollkommen erschöpft. Sie wissen, dass diese Müdigkeit durch Schlaf nicht überwunden werden kann. Es muss Wege geben, wie die durch das Unterrichten wegfließenden Energien wieder zurückgewonnen werden können.
Man kann wirklich schwerlich erkennen, woher diese Müdigkeit kommt. Als ich Yoga machte, nahm meine Energie plötzlich zu. Ich erkannte, dass ich durch Yoga das gewinne, was zur Ausübung meines Berufes notwendig ist. Ich glaube, dass es für andere Lehrer genauso ist, wie für mich: Yoga hilft ihnen. Ich versuche, einige Punkte zu klären, die Probleme betreffen, denen der Lehrer im traditionellen Klassenraum begegnet und wie durch Yoga Hilfe kommen kann.
Erstens ist der Beruf so ermüdend, weil Kinder viel Bewegung brauchen, und wenn sie für 3 bis 6 Stunden im Klassenraum sitzen müssen, werden sie sehr nervös. Durch die Nervosität werden sie sehr unruhig und wild, möchten herumlaufen und reden. Der Lehrer muss also ständig auffordern: "Seid still!" "Hört zu!" "Passt auf!" Aber niemand hat ihnen jemals gesagt, wie sie aufmerksam sein sollen. Sie sollen 'aufpassen`, und wenn sie aufpassen, verspannen sich ihre Körper; statt sich für das zu öffnen, was der Lehrer sagt, schließen sie sich ein. Wir müssen ihnen auf irgendeine Art zeigen, wie sie ihre Ohren, ihr Bewusstsein öffnen können, und dafür müssen sie ganz sicher still sein. Das ist das große Problem für Lehrer: Für Kinder ist es sehr schwer, bewegungslos zu bleiben. Wenn wir wollen, dass sie lernen, müssen wir sie irgendwie stille halten, aber nicht verspannt.
Der Lehrer beobachtet die Klasse unentwegt und sieht, was alles vor sich geht: Ein Kind hört nicht zu, ein anderes hampelt dauernd herum - das wiederum bringt den Lehrer in Spannung. Er kann nicht einfach entspannt unterrichten, weil er die ganze Zeit aufpassen muss.
Und weiter: Der Lehrer muss sehr viel sprechen; und Sprechen ist anstrengend, das ist nicht zu verkennen. Wenn man lange spricht, trocknet der Mund aus, man muss sich konzentrieren, man muss laut sprechen, damit alle verstehen, was man sagt. Viele Lehrer haben niemals gelernt, ihre Stimme zu kultivieren, das ist eine Kunst. Als Schauspieler oder Fernsehsprecher (nicht nur als Sänger), musst du wissen, wie und in welcher Höhenlage du deine Stimme lenkst. Weil sie so viel Energie durch das Sprechen verlieren, ermüden Lehrer so leicht oder werden depressiv.
Durch lautes Chanten des Mantras OM, mindestens 24 Mal am Tag, kannst du deine Stimme entwickeln, das jedenfalls habe ich für mich herausgefunden. Ich habe niemals irgendwelche Sprecherziehung gehabt, aber durch diese Übung hat sich meine Stimme zum Positiven verändert.
Ein weiterer Faktor, wie Yoga hilft, ist der, dass jeder Lehrer die Natur des Kindes besser verstehen lernt. Die Yoga-Wissenschaft lehrt, dass keine Trennung zwischen Körper und Bewusstsein existiert. Aber in unserem Beruf neigen wir dazu, nur den Verstand des Schulkindes zu sehen. Sehr bezeichnend für diese Tatsache ist, dass die Kinder immer sitzen und nur ihr Oberkörper sichtbar ist, um den anderen Teil des Körpers kümmern wir uns nicht. Und dann haben sie ihre Arme zu heben. Das Kind ist in zwei Bereiche unterteilt: Der obere muss reagieren, der untere ist nicht existent.
Wenn wir das Kind als Ganzes schon reduzieren müssen, dann wäre es bedeutend besser, sich auf das Gehirn zu konzentrieren; aber zur Kultivierung des Gehirns machen wir nichts. Das Gehirn ist nicht nur ein abstraktes Werkzeug des Intellekts, sondern ebenso ein physisches Organ; die Sauerstoffversorgung ist daher äußerst wichtig. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass das Gehirn mehr Sauerstoff benötigt, als irgendein anderes Organ im Körper. Was tun? Die Kinder müssen fast die ganze Zeit still sitzen - wie soll da das Gehirn vernünftig versorgt werden?
Es ist wirklich kein Wunder, dass junge Menschen in Frankreich und vielen anderen Ländern gegen das System rebellieren. Es wird höchste Zeit, dass wir uns etwas einfallen lassen. In Frankreich ist es gerade Mode, dass jeder irgendwie das System verändern will. Es wird so viel über die Veränderung des Erziehungssystems gesprochen, und ich bin überzeugt, dass Yoga hier eine wichtige Rolle zu spielen hat, weil hier ein Standpunkt für die Evolution existiert und eine Diagnose, wo der Fehler liegt, vorhanden ist. Außerdem gehen wir in Yoga davon aus, dass das Kind nicht nur einen Körper hat, sondern mehrere, und diese verschiedenen Hüllen müssen in Harmonie miteinander kommen.
Ich möchte einige Beispiele geben:
Das Kind hat zu viel Schokolade gegessen und hat am nächsten Tag Mathematik. Es möchte aufpassen, denn es mag den Lehrer gern, der trotz allem ja sehr nett ist; außerdem will er Mathematik lernen, denn seine Eltern haben ihm gesagt, dass er ohne dieses Wissen keinen guten Job findet. Er möchte also aufpassen, aber 'Oh weh, zu viel Schokolade!' Da gibt es kein Ausweichen, denn wenn Körper und Intellekt nicht miteinander harmonieren, gibt es Probleme.
Ein anderes Beispiel: Ein Kind hat sich im Turnunterricht ausgetobt und kommt atemlos in den Englischunterricht. Aus dieser physiologischen Aufwallung heraus kann es sich nicht konzentrieren und das meiste geht in ein Ohr hinein und aus dem anderen heraus. Der Atem müsste nun beruhigt werden, dann erst kann es zuhören und sich konzentrieren.
Ein anderes Beispiel betrifft den Mentalkörper. Am Abend vorher hat das Kind im Fernsehen Fußball oder Dracula oder 'Frankensteins Braut` oder etwas ähnliches gesehen. Während des Unterrichts am nächsten Tag erinnert es sich daran und ist gedanklich ganz woanders. Der Lehrer erklärt etwas, aber das Kind ist abwesend. Es gibt Erwachsene, die sich noch an ihre Visionen und Tagträume auf der Schulbank erinnern können.
Das letzte Beispiel betrifft die Probleme, die so viele Kinder in ihren Familie haben. Auch das stört ihre Fähigkeit, sich zu erinnern. Der physische, der emotionale und der mentale Bereich der Persönlichkeit müssen also ausgeglichen sein, damit Lernen überhaupt erfolgen kann.
Wenn der Lehrer vernachlässigt, auf diejenigen Spannungsbereiche zu achten, die den tiefen Wunsch, zu lernen, verdecken, dann kann sich das Kind nicht konzentrieren. Yoga-Übungen sind hilfreich, um mit diesen Schwierigkeiten umzugehen, z.B. beginnen wir den Unterricht oft mit kurzen Atemübungen - eine außergewöhnliche Methode!
Atemübungen sind nicht so einfach, wie sie aussehen und werden auch erst nach einiger Zeit eingeführt. Ein Lehrer oder Erzieher sollte die Reaktion seiner Schüler immer im Auge haben. Wenn er bemerkt, dass die Kinder müde werden oder sich langweilen, dann muss er sofort mit etwas anderem beginnen. Der Unterricht sollte mit verschiedenen Übungen gespickt sein. Kinder lieben Bewegung und Abwechslung, sie mögen nicht ständig die gleichen Übungen wiederholen. Der Lehrer wird unweigerlich versagen, wenn er nicht viele Tricks anwendet, um Lustlosigkeit in seiner Klasse zu vermeiden. Kinder wollen Veränderung und Unterhaltung, und wenn sie es langweilig finden, dann sei unbesorgt - sie werden es dich schon wissen lassen. Ein Teil meines Jobs wurde es deshalb, eine ganze Skala verschiedener Übungen für den normalen Unterricht zu kreieren.
Ein Lehrer, der Kindern Yoga vermittelt, muss so vor seinen Kindern sitzen, wie ein Pianist vor seinem Flügel. Er hat viele Tasten zur Verfügung, schwarze und weiße. und er muss entsprechend der Situation, entsprechend der Zeit und entsprechend der Altersgruppe spielen. Er muss viele Musikstücke auf Abruf bereit haben. Mit älteren Kindern kann man z.B. nicht alles machen. Kindergartenkinder werden nicht dasselbe machen, wie 15-jährige Teenager.
Zur Zeit wird zu dem Thema Yoga für Kinder viel erforscht. Ich wurde von Swamiji Satyananda inspiriert, aber jeder kann seine eigene Quelle der Inspiration finden. Worauf ich hinaus möchte ist, dass ein Lehrer beides verstehen muss, die Idee von Yoga und die Natur des Kindes. Er muss eine Vorstellung davon haben, wohin Erziehung führen soll. Es gibt eine enge Verbindung zwischen Yoga und Erziehung. Schließlich haben Yogis immer betont, dass das menschliche Wesen noch kein Mensch ist, sondern im Moment eher noch ein höheres Tier. Aber mit und durch Yoga kann er wirklich zum Menschen werden.
Wenn wir Kinder haben, möchten wir, dass sie wachsen. Als wahre Erzieher und Yogis sollten wir das Ziel vor Augen haben, dann werden wir auch einen Weg finden. Wenn du sehr genau weißt, was du willst, dann zeigt sich immer ein Weg, aber wenn du keine genaue Vorstellung hast, wie ein Hinführen zum wahren Menschsein aussehen soll, wirst du dich mit Techniken zufrieden geben und keinen Erfolg haben. Wenn der Wille falsch ist, dann kann der Weg auch nicht richtig sein.
Letztendlich ist die Evolutionsebene des Lehrers am wichtigsten, und ich vertraue darauf, dass du das erst einmal für dich herausfindest. Bevor wir einen Versuch machen, die Klassensituation zu verändern, sollte der Lehrer versuchen, sein Leben durch Selbstdisziplin zu verändern. Und seine innere Erneuerung wird er in die Erziehung hineintragen.
(Aus: Yoga Heft Nr. 18) - von Swami Yogabhakti Saraswati