Yama – yogische Selbstkontrolle
Der erste Aspekt von Raja Yoga nach Patanjali ist Yama. Im Allgemeinen wird Yama vom Laien im Sanskrit als Moralkodex der richtigen Führung übersetzt, die eigentliche Bedeutung ist jedoch yogische Selbstkontrolle. Diese Regeln der yogischen Selbstkontrolle kommen noch vor Übungen wie Asana, Pranayama und Meditation. Die fünf Yamas oder äußeren Disziplinen sind:
- Satya – Wahrhaftigkeit
- Ahimsa – Freisein von Gewalt
- Asteya – Ehrlichkeit
- Aparigraha – Freisein von Besitzansprüchen
- Brahmacharya – Zölibat
Satya – Wahrhaftigkeit
Satya oder Wahrhaftigkeit spiegelt sich im äußeren Verhalten während der Interaktion eines Individuums wider. Sich an das Wesen oder das Gesetz der Wahrheit zu halten, ermöglicht es, die Konflikte des Geistes zu entfernen oder zu klären. Die Menschen glauben, es sei einfach, die Wahrheit zu sprechen. Es ist zwar leicht, zu sagen, weiß ist weiß und schwarz ist schwarz. Wahrheit bezieht sich jedoch nicht nur auf das, was wir sagen
Es bezieht sich vielmehr auf das Gewahrsein von korrekt, recht und wahr, das sich aus dem Inneren bemerkbar macht und dann zum Ausdruck bringt. Der wahre Geisteszustand beinhaltet Reinheit und Harmonie unserer inneren Ausdruckskraft und Erfahrung nur unter folgenden Bedingungen:
Wir müssen in der Lage sein, die korrekte, wahre und reale Manifestation eines Vritti, eines Gedankens oder eines Wunsches zu beobachten, ohne durch den Intellekt, unser Selbstbild und das Ego gefiltert, beeinflusst oder verändert zu werden. Dazu gehören auch Einflüsse von außen.
Ahimsa – Freisein von Gewalt
Ahimsa oder Freisein von Gewalt ist nicht der äußere Akt, unsere Handlungen gewaltfrei zu machen, sondern es ist die Abwesenheit der gewaltsamen Natur in unserer Persönlichkeit. Diese Gewalt drückt sich nicht nur in Interaktionen mit anderen Menschen aus. Sie zeigt sich auch in Form eines Gefühls, Gedankens, Wunsches, einer Empfindung, Motivation oder einer Ambition gegen dich selbst. Alles, was den natürlichen Fluss menschlicher Wahrnehmung und des Bewusstseins stört, nennt man Himsa. Es gehört zu Tamas, zu Unwissenheit und Trägheit.
Ahimsa ist die völlige Abwesenheit von Gewalt in unserer Natur, unserem Wesen, und das allein ist ein Sadhana. Es bedeutet nicht einfach nur das Akzeptieren von Beleidigung und Schmerz. Es bedeutet vorrangig, dass wir innerlich von jeder Reaktion frei sein sollten. Wir sollten nicht negativ oder gewalttätig reagieren. Diese Abwesenheit einer gewalttätigen Natur in unserer Persönlichkeit transformiert die tamasische Persönlichkeit in eine sattwische.
Asteya – Ehrlichkeit
Asteya oder Ehrlichkeit ist das dritte Yama. Yogis wussten, dass wir mit uns selbst nicht ehrlich sind, weil viele Fäden mit unserem Geist verknotet sind, die ihn in verschiedene Richtungen ziehen. Die Ehrlichkeit, Einfachheit und Ernsthaftigkeit unserer Natur scheint verloren wegen der verschiedenen Vorstellungen, Eindrücke und Ambitionen, die sich darüber gelegt haben und unser Leben dominieren.
Ehrlichkeit gehört also zum Aspekt von Yama, weil es ein Weg ist, die ernsthafte Lebensqualität ohne eine Überlagerung von äußeren Ideen zu erfahren. Hier kann die wahre Natur der Persönlichkeit gesehen und erfahren werden.
Aparigraha – Freisein von Besitzansprüchen
Aparigraha oder Freisein von Besitzansprüchen bedeutet, nicht verhaftet, nicht verstrickt zu sein. Solange wir an etwas anhaften und vom Ego motiviert werden, gibt es auch ein Gefühl von Besitzanspruch. Wir neigen dazu, etwas besitzen zu wollen, an dem wir sehr hängen, z. B. Dinge, Menschen, Gegenden.
Dieser Besitzanspruch zeigt sich später in Form unseres eigenen egoistischen Dranges nach Befriedigung. Man kann den Besitzanspruch haben, er sollte jedoch nicht von unserem Ego oder unserer selbstsüchtigen Natur motiviert sein. Er sollte uns bereit machen, zu umsorgen, zu pflegen und zu erhalten, frei von egoistischer Haltung.
Um die Eigenschaft zu erlangen, frei von Besitzanspruch zu sein, müssen wir uns frei machen vom Anhaften. Anhaften bedeutet, sich nach etwas sehnen und Loslösung bedeutet, sich davon loszuschneiden. Nicht anzuhaften bedeutet, uns nicht aus der Bahn werfen zu lassen, was auch immer geschieht oder wo immer wir uns befinden.
Aparigraha erlaubt uns, die Anhaftungen wahrzunehmen, die uns an einen rajasischen oder tamasischen Geisteszustand, an die Welt der Sinne und Dinge ketten, und die es uns nicht erlauben, unsere Wahrnehmung über die selbstsüchtigen Eigenschaften hinauswachsen zu lassen. Aparigraha ist also das Gegenteil von Anhaften. Mit Aparigraha bemühen wir uns, über die Dinge hinauszuwachsen, die uns herunterziehen.
Brahmacharya – Höheres Bewusstsein
Brahmacharya, normalerweise mit Zölibat oder Enthaltung übersetzt, bedeutet eigentlich „jemand, der sich im höheren Bewusstsein befindet“. Das Wort Brahma bedeutet Höhere Wirklichkeit und Achara bedeutet jemand, der einem Weg folgt. Diese höhere Wirklichkeit ist sicher nicht die sinnliche oder profane Wirklichkeit. Später definierte man Brahmacharya als Zölibat. Die eigentliche Bedeutung jedoch geht dahin, dass man sich im Gewahrsein des höheren Bewusstseins befinden sollte.
Textauszug aus dem Buch Yoga Darshan von Swami Niranjanananda Saraswati