Harmonie zwischen Kopf, Herz und Händen mit Satyananda Yoga
Die Yoga Philosophie von Swami Satyananda ist sehr einfach. Es ist sein Yoga Darshan. Seit 1963, als die Bihar School of Yoga im Sivananda-Ashram, Lal Darwaja, begann, führte Sri Swamiji die Yoga Kurse und den Unterricht, Therapiekurse, Yoga Sadhana Programme und Yoga Lehrer Ausbildungen. Was war seine Absicht, wenn er Yoga in Form von aufbauenden Folgen und klaren Strukturen unterrichtet hat? Warum folgte er nicht dem einfachen Weg von Jnana Marga, wie es in der Tradition von Sannyasins üblich ist?
Die yogische Entwicklung ist für Sri Swamiji das Wachstum in ein wahrhaft menschliches Dasein mit einer homogenen menschenwürdigen Persönlichkeit. Die Homogenität der menschlichen Persönlichkeit liegt in einer guten Koordination, Kooperation, Assoziation und dem Ausdruck der Eigenschaften von Kopf, Herz und Händen. So einfach ist das. Das ist die ganze Yoga Philosophie, wie sie von Swami Satyananda entwickelt wurde.
Der Kopf
Seit undenklichen Zeiten hat die Menschen eine einzige große Frage beschäftigt: Wie lässt sich der Geist handhaben? Arjuna stellte in der Bhagavad Gita genau diese Frage an Krishna. Wie handhabt man den Geist, der feiner ist als Luft, der niemals gefasst, gehalten werden kann? Heute stellen wir die gleiche Frage. Wie können wir unseren Geist zähmen, unsere Wünsche, unsere Ziele und Hoffnungen, Gedanken und Ideen? Wie können wir uns dem Geist praktisch annähern? Wie erlangen wir Klarheit und Einsicht in ihn, um zu verstehen, was relevant und was irrelevant ist?
Wegen dieser verschiedenen Aspekte, die den Menschen beschäftigen, hat Sri Swamiji das gesamte System von Pratyahara entwickelt. Selbst heute ist vielen Menschen der Unterschied zwischen Pratyahara (Rückzug des Geistes von den Sinnesobjekten), Dharana (Konzentration) und Dhyana (Meditation) nicht bewusst. Viele Lehrer lehren Meditation, ohne die Prinzipien von Pratyahara und Dharana zu verstehen. Sri Swamiji legte das gesamte Konzept, die Anwendbarkeit und die Techniken von Pratyahara offen. Er führte Yoga Nidra als die erste Technik von Pratyahara ein. Er entwickelte andere Systeme der Konzentration und der Meditation, die er in den Tantras fand. Die Techniken von Antar Mouna und Ajapa Japa waren das Ergebnis. Ajapa Japa ist seit vielen tausend Jahren bekannt, niemals jedoch wurde diese Übung definiert, ihre Stufen klar aufgezeichnet. Swamiji brachte Klarheit in die Stufen der Übung, die Bewegung des Atems und des Mantras auf den psychischen Wegen. Er zeigte einen praktischen, verständlichen und erreichbaren Weg und die Struktur jeder Übung auf. Er erklärte die Stufen von Antar Mouna, Chidakasha Dharana und Yoga Nidra.
Sri Swamiji beschrieb als Erster den Verlauf, die hervorstechenden Punkte und Techniken von Prana Vidya, was heute in ganz elementarer Form als Reiki bekannt ist. Er zeigte einen Weg, Pranayama als Teil des täglichen Yoga Sadhana anzuwenden. Vor zwanzig Jahren gingen die Menschen davon aus, Pranayama sei gefährlich. Viele Institutionen lehrten Pranayama nicht als integralen Teil des Yoga Unterrichts. Nur die Lehrer der Satyananda/Bihar Yoga Tradition machten dies. Die Pranayama Techniken, die heute gelehrt werden, entstammen den Lehren von Sri Swamiji. In der Art, wie Sri Swamiji Pranayama lehrte, wurde deutlich, welche der Übungen erwärmend oder kühlend oder harmonisierend wirken, wie sie auf verschiedene körperliche Zustände wirken, zu welchen Tageszeiten, in welchem Klima, in welcher Gemütslage sie anzuwenden sind und wie die Lungenkapazität durch Einatmen, Ausatmen und Anhalten des Atems entwickelt werden kann.
Sri Swamiji erklärte und systematisierte das Konzept von Bandhas und Mudras. Er vereinfachte das gesamte System der Hatha Yoga Shatkriyas (yogische Reinigungsübungen), in dem er die Techniken in eine vergleichsweise einfache Form brachte – Purna Shankhaprakshalana. Shankhaprakshalana ist in anderen yogischen Schriften nicht zu finden, und über Basti, Dhauti, Nauli und Neti wird als gänzlich separate Techniken gesprochen.
Es gibt nur zwei Systeme von Kriya Yoga in der ganzen Welt. Das eine kommt von Babaji, der als Erschaffer und Gründer gilt. Aus dieser Linie sind viele Lehrer hervorgegangen, die bekanntesten sind Paramahamsa Yogananda, Sri Yukteshwar und Lahiri Mahasaya. Das andere Kriya Yoga System wurde von Sri Swamiji aus den Tantras entwickelt. Während Kriya Yoga noch ein Geheimnis war und man glaubte, er könne nur vom Guru auf den engsten Jünger in ganz geheimer Weise übertragen werden, begann Sri Swamiji mit einem Drei-Jahres-Postkorrespondenz-Kurs. Heute liegen diese Aufzeichnungen als Buch vor. Es ist die einzige authentische Enzyklopädie über Yoga, die existiert.
Swami Vivekananda hat über Yoga gesprochen, hat jedoch niemals Yoga in Form von Asana oder Pranayama gelehrt. Er hat nur über die Theorie gesprochen. Er hat Yoga keinen eigenen Entwicklungsweg gegeben, sondern hat die Schriften, den philosophischen Aspekt von Yoga in eine verständliche Sprache gebracht. Es war Swami Satyananda, der das yogische Konzept in den Körper hinein getragen hat. So hat er z. B. aufgezeigt, welches Chakra mit welchem Nadi, welcher Drüse und welchem Bewusstseinszustand korrespondiert. Dazu liegen heute viele Forschungsergebnisse vor. Dr. Hiroshi Motoyama verweist in seinem Buch „Theories of the Chakras“ auf die Philosophie und die Übungen von Swami Satyananda. Dr. Serena Roney-Dougal, Autorin von „Where Science and Magic Meet“, entdeckte die Rolle, die Funktionen und Wirkungen der Chakras und ihrer Zugehörigkeit auf das psychophysiologische System. Viele Gelehrte und große Denker haben seinen Ideen Anerkennung gezollt und mit ihnen gearbeitet.
Herz und Hände
Swami Satyananda hat darüber hinaus einen Weg entwickelt, um das Herz zu öffnen. Er hat ein ganzes System erschaffen, wodurch dies möglich ist. Und ebenso ist er vorgegangen, um den Fähigkeiten der Hände gerecht zu werden. Deshalb besteht er auch heute noch darauf, dass Ganga Darshan, obwohl es inzwischen den Universitätsstatus hat, die „Gurukul“ Qualität beibehält (Leben in der Gemeinschaft und mit dem Guru, um die jedem innewohnende Weisheit zu entdecken). Diese Struktur und Disziplin sind nicht nur ein institutionelles Mandat, vielmehr ist das Ziel, ein Umfeld zu erschaffen, in dem auch die Fähigkeiten der Hände kreativ eingesetzt werden können. Kreativität bedeutet nicht Zerstreuung. Oft fragen Menschen, wie sie kreativ sein können, wo doch die Möglichkeiten dafür im Ashram stark eingeschränkt sind. Draußen in der Welt mag es bessere Bedingungen geben, es gibt jedoch auch mehr Zerstreuungen. Im Training zur Kreativität ist es das Wichtigste, sich auf eines konzentrieren zu können, man muss die Geduld und Ausdauer haben, geduldig ein einziges Loch 50 m tief zu graben, und nicht 50 Löcher mit nur einem Meter Tiefe.
Sri Swamiji sagt es immer wieder ganz deutlich. Das, was er im Ashram seines Gurus durchgemacht und erfahren hat, hat ihn zu dem gemacht, der er heute ist. Als die Teilnehmer des Sannyasa Kurses bei ihm waren, sprach er vom Leben im Ashram seines Gurus, in dem seine ganze Leidenschaft der Arbeit galt. Er hob den Aspekt von Karma Yoga hervor, er gab ihm eine praktische Form, einen Körper, er wurde Teil der Ashram Kultur. Kommt die reale Anwendung nicht hinzu, bleibt Karma Yoga nur eine Philosophie – „Handle, ohne nach den Früchten zu fragen“. Jeder kann darüber sprechen. Wo aber ist der geeignete Ort, mit dem Gegenüber, mit dem du deinen Kopf, deine Ideen, deine Natur, deine Wahrnehmungen, deine Konflikte konfrontieren kannst? Nur so wird Karma Yoga ein Teil des Lebens, und nur dann sind wir in der Lage, unser Verhalten und unsere Erkenntnisse zu ändern.
Sri Swamiji zeigt einen praktischen Weg und entwickelte nicht nur eine Philosophie, wie es Buddha oder Mahavir oder andere gemacht haben. Er lehrt uns eine Lebensweise, und dies in sehr praktischer Form. Ich halte keine Lobrede auf ihn. Nein, ich drücke meine Hochachtung und meinen Respekt aus für die Arbeit und das Bemühen, ein komplexes System für das Wachstum von Kopf, Herz und Händen zu entwickeln. Es ist dem Bemühen von Swami Satyananda zu verdanken, wie sich Yoga im heutigen Zeitalter entwickelt hat.
Es gibt viele hervorragende Institutionen auf der Welt, in denen Hatha Yoga, Raja Yoga, Jnana Yoga oder Bhakti Yoga gelehrt werden, und jeder Weg oder jede Tradition oder jedes System ist einzigartig und besonders. Und doch möchte ich sagen, dass der umfangreichste und am deutlichsten erklärte Yoga das System von Bihar Yoga/Satyananda Yoga ist. Bihar Yoga muss gelebt und erfahren werden, er kann nicht im Unterricht gelernt werden. Das ist der große Unterschied. Wir können Yoga Unterricht überall in der Welt bekommen. Es gibt viele Universitäten oder Schulen, die Yoga Training anbieten, aber das bleibt rein intellektuell. Es gibt viele Zentren und individuelle Lehrer überall auf der Welt, die Yoga unterrichten. Das bleibt aber auf der körperlichen Ebene – eine Stunde Asana, Pranayama und Entspannung.
Swami Satyananda war der Erste, der die parallele Entwicklung verschiedener Richtungen ermöglicht hat, der des Geistes, des Herzens und der Kreativität der Hände. Mit diesen drei Aspekten wird der Entwicklung des menschlichen Potenzials, des Bewusstseins und der Energie Rechnung getragen. Sri Swamiji hat Yoga ein neues Leben gegeben, eine neue Geburt; er hat Yoga zur neuen Blüte verholfen, sonst wäre er wohl verloren gegangen. Er ist der Patanjali der heutigen Zeit. Das ist sein Beitrag. Heute erkennen die Menschen seinen Beitrag für Yoga noch nicht, aber morgen werden sie erkennen, dass er der Patanjali dieses Zeitalters ist.
In jedem Yoga Aspiranten oder Yoga Lehrer, der Ganga Darshan betritt und hier eine Schulung durchläuft, sollte der Wille und die Bereitschaft nicht nachlassen, Achtung für diesen yogischen Prozess zu bewahren; und jeder sollte davon überzeugt sein, dass er oder sie ein yogisches Leben, ein komplettes Leben, ein volles Leben in der Hand halten. Wenn es mentale Probleme gibt und der Kopf verrückt spielt, lässt sich das bewältigen, indem das Wissen, das Training, die Weisheit und das Verständnis eingesetzt werden, das man erlangen und entwickeln will.
Die wichtigste Botschaft, die Sri Swamiji gegeben hat, lautet: Verliere nicht das Vertrauen in dich selbst.
(Aus: (YOGA 4) - von Swami Niranjanananda Saraswati - Ganga Darshan, 8. März 2002