
Tantrische Wissenschaft des Gehirnatmens
Swara ist der Atem und Swara Yoga ist die Wissenschaft des Atems. Swara Yoga ist für den fortgeschrittenen Yoga Schüler gedacht, aber die Einführung in diese beiden großen und wichtigen Themen wirft auch für den Anfänger Licht auf einen grundlegenden Aspekt von Yoga.
Wer Swara Yoga in seiner ganzen Fülle lernen möchte, sollte einige Zeit in die Bihar School of Yoga nach Indien gehen. Viele Einzelteile fließen jedoch auch in unsere ganz alltägliche Yogaübung und natürlich auch in unser Alltagsleben hinein.
Nadis
Die Anwesenheit von positiv und negativ (Plus und Minus) geladenen Teilchen in Körper und Bewusstsein ermöglicht uns, in dieser Welt zu leben. Aber die Wunder der Natur sind damit nicht beendet. Der Mensch hat eine Methode entdeckt, ein Atom zu teilen und die Kernenergie freizulegen. Ebenso kann er ein größeres Energiequantum in seinem eigenen inneren Wesen zur Wirkung bringen.
Vor endlos langer Zeit schon benutzten die Rishis ihr prinzipielles Wissen vom Verstärken der pranischen Energie, um die Evolution des menschlichen Bewusstseins auszudehnen. Der einzige Unterschied zwischen den modernen und den historischen Methoden, Energie zu erzeugen, liegt darin, dass die einen äußere Quellen benutzen, und die anderen innere.
Das pranische Netzwerk im Körper arbeitet auf genau der gleichen Basis, wie das Energiesystem von Atom-, Hydraulik oder Thermalkraftwerken. Der Druck von schnell fließendem Wasser oder aufsteigendem Dampf bringt Turbinen zum Drehen, die dann Elektrizität erzeugen.
Dieser Vorgang erzeugt ein magnetisches Kraftfeld, das man in Akkumulatoren sammeln und speichern kann. Die Yogis erklären, wie genau auf der gleichen Basis das pranische Feld im Körper durch die Atmung geladen ist, das bedeutet, dass der Atemvorgang Energie erzeugt. Diese Energie kann dann in die verschiedenen pranischen Akkumulatoren gelenkt werden, in die Chakras, um sie dort zu speichern.
Die Akkumulation von Energie ist nur ein Teil des Vorgangs; sie muss auch richtig genutzt werden. Von einem Kraftwerk wird die Energie durch Hochspannungskabel zu Umspannungs- oder Trafostationen geleitet. Wenn sie einmal auf dieser Arbeitsstufe angelangt ist, hat sie Transformatoren durchlaufen, die die elektrische Spannung (z.B. von 100.000 Volt auf 220 Volt) oder die Spannung reduziert haben, sodass sie nun für einen bestimmten Zweck genutzt werden kann. Das gleiche Prinzip gilt für unseren physischen Körper, nur sind hier die Voltkanäle, die die elektrische Energie leiten, keine elektrischen Kabel, sondern "Nadis".
Das Netzwerk der Nadis
Der physische Körper wird von einem ganzen Nadi-System getragen. Immer wieder wird das Nadi-System mit dem Nervensystem in Verbindung gebracht. Aber in den Chandogya und den Brihadaranyaka Upanishaden wird eindeutig darauf hingewiesen, dass die Nadis ganz und gar feinstofflicher Natur sind. Das Wort Nadi stammt von der Sanskritwurzel nad, was Fluss bedeutet. Nada ist eine klingende und subtile Schwingung. Somit können wir sagen, dass Nadis subtile Schwingungsströme sind.
Die Upanishaden erklären, wie die Nadis den Körper von den Sohlen der Füße bis zur Krone des Kopfes durchdringen und Prana, den Lebensatem, überall hintragen. Das gesamte Netzwerk der Nadis ist so unendlich groß, dass selbst yogische Texte in der Angabe der exakten Zahlen schwanken.
In der Goraksha Satarka und der Hatha Yoga Pradipika wird von 72.000 gesprochen; die Prapanchasara Tantra sprechen von 300.000; und die Shiva Samhita spricht von 350.000 Nadis, die im Nabelzentrum entspringen. Wenn man von der Zahlenschwankung absieht, ist die Beschreibung ihrer Struktur überall die gleiche. Sie werden immer als dünne Strähnen ähnliche Fäden beschrieben, ähnlich wie der Stengel eines Lotos, und sie entspringen in der Wirbelsäule.
Durch wissenschaftliche Experimente hat man versucht herauszufinden, was die Nadis sind und wo sie sich befinden. Dr. Hiroshi Motoyama hat durch seine Forschungsarbeit eine stabile Spannung elektromagnetischer Ströme in unmittelbarer Nähe des Nervensystems gefunden. (*1) Er nimmt dies als Beweis für die Existenz von Nadis und Akupunktur-Meridianen.
Die zehn Haupt Nadis
In jedem elektrischen Kreislauf gibt es drei verschiedene Kabel, die für die Leitung erforderlich sind - eines ist plus oder positiv, eines minus oder negativ, und ein Drittes ist neutral, auch Erdung. Ebenso gibt es im Körper drei spezielle Nadis, um Energie zu leiten.
In Yoga ist die negative Linie Ida, der Weg für Manas Shakti, die mentale Kraft. Die positive Linie ist Pingala, welche die dynamische Energie, Prana Shakti leitet. Um einen Kurzschluss dieser Linien zu vermeiden, gibt es einen dritten Kanal, Sushumna, der auch als Erdkabel wirken kann; solange er im latenten Zustand ist, hat er seine Wurzel im Muladhara Chakra.
Aber die wahre Bestimmung von Sushumna ist es, Kanal für die spirituelle Energie im Menschen zu sein; dies ist eine größere Kraft als Manas oder Prana Shakti. Deswegen haben die Yogis bestimmte Techniken entwickelt, um Sushumna zu aktivieren.
Es heißt, dass von all den Tausenden von Nadis Sushumna das Wichtigste ist. In der Shiva Swarodaya wird von 10 Haupt Nadis gesprochen, die eine Verbindung zu den Öffnungen in den Körper hinein und aus dem Körper heraus haben. Von diesen zehn sind Ida, Pingala und Sushumna am wichtigsten. Dies sind die Hochspannungskabel, die die Energie zu den Umspannungsstationen, den Chakras, leiten, die in der Wirbelsäule liegen.
Es gibt natürlich noch weniger wichtige Nadis, bei all den Übungen braucht man sich jedoch nur auf Ida, Pingala und Sushumna zu konzentrieren, denn sie regieren über das gesamte Nadi-System und die Körperabläufe.
Ida und Pingala – Positiver und negativer Aspekt
Es ist notwendig, sich klarzumachen, dass Ida und Pingala entgegen gesetzte Aspekte von einem Prana oder der einen Shakti sind. Diese Bezeichnungen sind nur erklärend und sollten nicht mit positiven und negativen Ionen oder mit positiver und negativer Gemütsverfassung durcheinander gebracht werden.
Zum Beispiel ist die allgemeine Wirkung der negativen Ionen im Körper "positiv". Wohingegen das positive Symbol von Pingala auf die physische Aktivität, und das negative Symbol von Ida auf die mentale, gedanklich-seelische Ebene verweist. Deshalb müssen wir mit den Begriffen der positiven und negativen Energie vorsichtig umgehen, wenn wir über die Nadis sprechen.
Der Ida-Kanal
Ida-Nadi, der negative Kanal, trägt Bewusstsein in jeden Teil des Körpers. Die Shiva Swarodaya vergleicht ihre Natur mit der Energie, die vom Mond erzeugt wird, daher sagt man auch Chandra Nadi oder das lunare Nadi. Man kann Ida mit dem parasympathischen Nervensystem in Verbindung bringen, von wo aus Impulse in die Organe der Eingeweide gesendet werden, um die inneren Abläufe zu stimulieren.
Dadurch entsteht ein allgemeiner Zustand der Entspannung in den äußeren Muskeln, und geht einher mit dem Absinken der Körpertemperatur. Daher sagt man, dass Ida kühlend, entspannend und nach innen ziehend wirkt.
Der Weg von Ida unterscheidet sich allerdings zu dem des parasympathischen Nervensystems. Ida entspringt an einem Punkt unterhalb der Wirbelsäule, wo das erste Energiezentrum liegt, Muladhara Chakra. Dieses Nadi entspringt an der linken Seite von Muladhara und bewegt sich spiralförmig nach oben, indem es alle anderen vier Energiezentren und Nervengeflechte in der Wirbelsäule durchkreuzt und zum Endpunkt an der Wurzel des linken Nasenlochs kommt, das zu Ajna Chakra, dem sechsten Energiezentrum, gehört.
Manche Texte beschreiben Ida auch als gerade nach oben aufsteigend, ausgehend von Muladhara zu Ajna, ohne noch ein anderes Zentrum zu durchkreuzen. Dies kann auch symbolisch dafür genommen werden, dass Ida die linke Seite der Wirbelsäule und die ganze linke Hälfte des Körpers regiert. Hier kann man sich einen Magnet vorstellen, um die Pole Plus und Minus zu beschreiben.
Wenn wir einen Magneten teilen, nehmen beide Enden des Magneten die entgegen gesetzten Polaritäten an. Genauso ist es im Körper: Die Organe auf der rechten Körperseite sind polarisiert, sodass Pingala die rechte Seite eines Organs regiert und Ida die linke.
Laut Swara Yoga beeinflusst das Atmen durch das linke Nasenloch die Aktivitäten von Manas Shakti; es zeigt an, dass das Sich-Nach-Innenwenden und die mentale Kreativität vorherrscht, sodass jede extrem dynamische oder extrovertierte Aktivität vermieden werden sollte. Daher manipuliert der Swara Yogi den Atemfluss im linken Nasenloch, um Ida direkt zu kontrollieren, um seinen Einfluss willentlich hervorzuheben, oder, wenn nötig, zu unterdrücken.
Der Pingala-Weg
Pingala ist Vermittler von Prana Shakti. Es ist der positive Aspekt, das Sonnen-Nadi, weil seine Energie so belebend ist wie die Sonnenstrahlen. Pingala aktiviert den physischen Körper und richtet die Wahrnehmung nach außen. Es wird in Zusammenhang gebracht mit dem sympathischen Nervensystem, welches Adrenalin freisetzt, um die äußeren Muskeln zu stimulieren. Der Sympathikus bereitet den Körper auf Stress und äußere Aktivität vor; z.B. lässt er das Herz schneller schlagen und erwärmt den Körper. Darum sagt man, dass Pingala energetisiert, erwärmt und nach außen richtet.
Pingala entspringt an der rechten Seite von Muladhara, entgegengesetzt von Ida. Es windet sich an der Wirbelsäule nach oben, indem es Ida und die vier Hauptenergiezentren kreuzt und endet an der Wurzel des rechten Nasenlochs. Die ganze rechte Körperseite sieht man daher von Pingala regiert. Um Pingala zu aktivieren oder zu unterdrücken, wird der Luftfluss im rechten Nasenloch manipuliert.
Swara: Gleichgewicht von rechter und linker Hemisphäre des Gehirns
Bestimmte Funktionen der Zerebralregion im Gehirn stehen ebenfalls mit den Aktivitäten von Ida und Pingala in Verbindung. Das Großhirn ist symmetrisch und besteht aus der rechten und der linken Hemisphäre. Die rechte Hemisphäre regiert die linke, und die linke Hemisphäre regiert die rechte Körperseite. Ida gehört zur rechten und Pingala zur linken Hemisphäre.
In der rechten Hemisphäre verlaufen Informationen in einer diffusen und holistischen Art. Von hier wird die Orientierung im Raum kontrolliert, und diese Hemisphäre ist besonders sensibel gegenüber dem Schwingungsbereich unserer Existenz und solcher Erfahrungen, die für den äußeren Sinnesempfang nicht greifbar sind. Es ist somit verantwortlich für die psychischen und außersinnlichen Wahrnehmungen und stimuliert kreative, künstlerische und musische Fähigkeiten.
Entgegengesetzt steht die linke Hemisphäre in Verbindung mit Pingala und ist verantwortlich für rationale, analytische und mathematische Fähigkeiten. In der linken Hemisphäre verläuft die Information der Reihe nach, linear und logisch. (*2) Auf diese Art kontrollieren und motivieren die Hemisphären in Assoziation mit den Nadis unsere Reaktionen im täglichen Leben.
Jede Hemisphäre steht ebenfalls in Verbindung mit dem Entstehen von unterschiedlichen Gefühlen. Neurologen haben die rechte Hemisphäre als "traurig" und die linke als "fröhlich" beschrieben (*3). Man hat sogar herausgefunden, dass ein positiver Gefühlsstimulus die linke Hemisphäre und ein negativer Gefühlsstimulus die rechte Hemisphäre aktiviert.
Ferner verursachen linke/rechte Aktivitäten jemanden, unter gewissen Umständen in einer ganz bestimmten Art zu reagieren. (*4) Man entdeckte, dass die linke Hemisphäre eine aggressive Reaktion, eine "Kampfeshaltung" hervorruft, während die rechte Hemisphäre eher zum Rückzug auffordert, jemanden zum passiven Teilnehmer werden lässt, oder zum 'Flüchten' veranlasst.
Ebenso entdeckten Neurologen eine Verbindung zwischen männlichen-weiblichen Reaktionen und linken/rechten Hirnfunktionen. Es sieht so aus, als wenn Frauen eher dem Einfluss der rechten Hemisphäre unterliegen als Männer, also eher von der Ida-Kraft dominiert werden. Soweit die Wissenschaft erklären kann, liegt der Unterschied in mentalen Fähigkeiten wahrscheinlich in einem abweichendem Verhältnis der Geschlechtshormone, die die Struktur des Gehirns beeinflussen.(*5) Was immer der physiologische Grund sein mag, ganz sicher stimmt es überein mit der Tatsache, dass Ida als das weibliche Prinzip gilt und Pingala als das männliche.
Das tantrische Konzept von Shiva und Shakti, den Zwillingskräften, die in jedem Individuum existieren, kann man sowohl in der Struktur von Gehirn und Pranakörper, wie auch in der Beschreibung von Ida und Pingala wieder erkennen. Ganz sicher untermauert es die Vorstellung von dem Menschen, der zwei Seelen hat, eine positive und eine negative; und ebenfalls die Theorie, dass es eine männliche und eine weibliche Seite in jedem von uns gibt.
Swami Satyananda spricht in diesem Video über Swara Yoga
Dreiheitliches Energiesystem in Swara Yoga
Wir haben nun gesehen, wie der Körper in zwei klar umrissene Bereiche oder Zonen entsprechend dem Energiefluss und der Magnetkraft entweder der positiven oder negativen Kräfte geteilt ist. Aber es gibt noch einen dritten Aspekt. In der Mittelachse, wo die beiden aneinandergrenzenden Seiten sich treffen, vereinigen sich die Energien von Plus und Minus und erzeugen ein neutrales Energiefeld, das sich in der Mitte gerade nach oben und nach unten bewegt. In Yoga heißt dieser wichtige Gang Sushumna Nadi.
Sushumna entspringt an der Basis der Wirbelsäule, genau wie Ida und Pingala, bewegt sich aber nicht nach rechts oder links, sondern geht gerade und direkt durch jedes auf dem Wege liegende Chakra und Nervengeflecht nach oben. Sushumna vereinigt sich mit Ida und Pingala im Ajna Chakra im Bereich der Medulla Oblongata. Daher steht es in Verbindung mit dem zentralen oder zerebrospinalen Nervensystem. Dieses trägt Impulse in das ganze System und verläuft analog zu Sushumna von der Basis der Wirbelsäule bis zu Ajna Chakra.
Auf der augenblicklichen Evolutionsstufe des Menschen liegt Sushumna im Schlummer. Wir wissen, dass dort ungeheure Kräfte ruhen, aber wenn wir nicht bestimmte Methoden anwenden, um sie zu aktivieren, wird der natürliche Entwicklungsprozess noch tausende von Jahren dauern. Das ist der Grund, weshalb Yogis uns durch Manipulation des Atems den Weg zeigen, wie wir Sushumna erwecken können. Normalerweise läuft die Energie entweder durch Ida oder durch Pingala.
Wenn nun aber beide Energieströme zusammengebracht werden können, erwacht eine weitaus mächtigere Kraft, die "Kundalini Shakti". Kundalini ist die spirituelle Kraft, die eine bedeutend höhere Frequenz hat. Im Vergleich zu den Energien von Ida und Pingala ist diese Kraft wie ein Laserstrahl. Aber bevor die Kundalinikraft erzeugt werden kann, muss der Sushumna Gang geöffnet werden.
Wenn Sushumna aktiv ist, fließt der Atem durch beide Nasenlöcher gleichzeitig. Nach Sonnenaufgang ist das etwa alle neunzig Minuten für einen ganz kurzen Augenblick der Fall. Auch nach Pranayama-Übungen oder dann, wenn man sehr konzentriert ist, oder aber, wenn man bereit ist, eine kriminelle Handlung zu begehen, fließt Sushumna. Deshalb gibt es in Swara Yoga strikte Regeln. Wenn Sushumna Nadi fließt, können spirituelle, aber ebenso kriminelle Tendenzen aufsteigen.
Sowohl beim Selbstmörder wie bei dem Yogi in tiefer Meditation fließt Sushumna. Wenn du irgendeine kriminelle Tat oder einen Angriff vorhast, fließt Sushumna. Sie fließt auch während einer Hochstimmung, z. B. nach einer Bergbesteigung oder Vollendung einer wichtigen Aufgabe. In diesem Moment sind beide Hirnhemisphären, also das ganze Gehirn, aktiv. Durch Ida und Pingala wird nur jeweils eine der beiden Hälften aktiviert.
Durch das Öffnen von Sushumna jedoch funktionieren sowohl die Karmendriyas (physische Organe) wie auch die Jnanendriyas (mentale Organe) gleichzeitig, in diesem Moment ist man sehr erfolgreich, ob nun im spirituellen oder im weltlichen Leben.
Die Nadis in Sushumna
Die innere Struktur von Sushumna ist äußerst komplex. Es ist nicht nur eine hohle Röhre, die still und leblos daliegt. Gelegentlich gibt es hier einen leichten Energiefluss, den man in dem Moment wahrnehmen kann, wenn die Luft durch beide Nasenlöcher gleichzeitig fließt. Das bedeutet natürlich nicht, dass Kundalini aufsteigt, es zeigt nur an, dass Sushumna aktiviert wurde.
Aber normalerweise sind diese erzeugten Impulse sehr schwach verglichen zu dem voll erwachten Zustand. Konzentration auf Sushumna in Verbindung mit speziellen Yogaübungen laden langsam aber sicher immer weiter auf und bereiten den Weg für Kundalini.
Während man sich auf Sushumna konzentriert, werden drei andere Nadis, die in den inneren Wänden von Sushumna liegen, ebenfalls aktiv. Je tiefer du kommst, umso feiner werden die Nadis. Direkt hinter der äußeren Oberfläche liegt "Vajra Nadi", innen liegt "Chitra" oder "Chitrini Nadi", und noch tiefer das äußerst feine "Brahma Nadi". Brahma Nadi heißt so, weil auf diesem Weg die höheren Zentren des Bewusstseins direkt stimuliert werden. Wenn Kundalini Shakti in diesen Gang eintritt, tauchen transzendente Erlebnisse auf.
So lange Sushumna ruht und entweder Ida oder Pingala funktionieren, unterliegen all die anderen Nadis den positiven oder negativen Einflüssen von Manas und Prana Shakti. Um Sushumna zu aktivieren, manipuliert der Swara Yogi seinen Atem, sodass er über längere Perioden gleichmäßig durch beide Nasenlöcher fließt.
Die Hatha Yoga Pradipika erklärt, dass "Sushumna Nadi verschlossen bleibt wegen der Unreinheiten der Nadis". Deshalb sollten wir zuerst einmal versuchen, das ganze System zu reinigen, dann wird Sushumna sich automatisch öffnen. Danach müssen wir lernen, Ida und Pingala zu kontrollieren, sodass die positiven und negativen Energieströme harmonisiert werden können, dadurch schaffen wir die ideale Voraussetzung für eine Aktivierung von Sushumna.
Ida, Pingala und Sushumna: Symbole für die dreiteilige Energie
Die negativen Kräfte von Ida, die positiven Kräfte von Pingala und die neutralen Kräfte von Sushumna sind in jeder Schöpfungsform vorhanden. Diese drei in verschiedenen Proportionen vorhandenen Energieaspekte ermöglichen der Natur, die diversen Erscheinungen zu erschaffen, und das Energiequantum bestimmt die besondere Eigenschaft der jeweiligen Form. Durch Swara Yoga lernen wir die positiven, die negativen und die neutralen Aspekte der drei Nadis in allen Manifestationen von grob bis äußerst subtil und feinstofflich erkennen.
In der unten aufgestellten Liste wird Ida von Sattwa repräsentiert, während Sushumna Tamas zugeordnet wird. Das bedeutet, dass Sushumna in einem Zustand der Unbeweglichkeit ist, in Tamoguna. Das ist so, weil an dem Punkt der Evolution vor dem Erwecken keinerlei Bewegung in Sushumna ist. Aber dieses Nadi enthält, damit es voll erwachen kann, in sich drei andere Nadis, die die dafür notwendigen Eigenschaften und Kraftquellen in sich tragen.
So ist Sushumna Tamas, Vajra Nadi ist Rajas und Chitrini ist Sattwa. Die Transzendenz der drei Gunas (Eigenschaften der Natur) bedeutet, sich über Zeit und Raum zu erheben, über Bewusstsein und Körper, über Ida und Pingala. An diesem Punkt der Evolution bewegt sich Shakti durch Brahma Nadi, transformiert die bewegungslose, träge Natur von Sushumna und transzendiert die Wahrnehmung der individuellen Existenz und der individuellen Erfahrungen.
Swara in Sushumna
In Swara Yoga heißt es, dass in dem Moment, wenn Sushumna für längere Zeit fließt, dein Bewusstsein die Grenzen von Subjekt und Objekt, von Ida und Pingala überschreitet. Für den, der in weltliche Angelegenheiten verwickelt ist, mag dieser Zustand nicht wünschenswert sein, aber für den Yogi ist es das Ziel. In Indien gibt es Menschen, die den Zeitpunkt ihres Todes einige Tage vorher genau voraussagen können, weil sie einen fortlaufenden Strom in Sushumna beobachten. Und ihre Zusagen sind korrekt.
Wenn Sushumna über lange Zeit hinweg fließt, bedeutet das für den Yogi, dass er kurz davor ist, Körper, Bewusstsein und Objekt zu transzendieren und Samadhi bevorsteht. Für den Durchschnittsmenschen bringt es ein kurzes Erlebnis, den Körper zu verlassen und Bereiche außerhalb der empirischen Wahrnehmung zu genießen, bedeutet aber nicht, dass Kundalini schon erwacht ist. Durch Erwachen der Kundalini wird Sushumna mit dieser Energie geradezu explosiv geladen. Die ganze Wirbelsäule wird erhitzt, aktiviert und bringt eine Vielzahl von Erlebnissen mit sich.
*1 Motoyama H., An electrophysiological study of prana (Ki)
*2 Ornstein R., The Nature of Human Consciousness
*3 Kinsbourne M., Psychology Today, May 1981
*4 u. *5 Brain / Mind Bulletin
Weitere Informationen über Swara Yoga sind in den Büchern Prana und Pranayama, Meditationen aus den Tantras sowie Yoga Darshan zu finden.
(Aus: Yoga Heft Nr. 29) - Swami Muktibhodhananda, inspiriert von Swami Satyananda